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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 15.06.2023

Veröffentlicht in Premier League Offside

Fußballreisen in die Premier League: Luton Town – Zurück aus der Hölle

Fußballreisen in die Premier League sind auch deshalb faszinierend, weil man Fußballmärchen hautnah miterleben kann. Stories, wie wir sie in der Bundesliga und leider auch in der oft geschmähten Ligue 1 seit Jahren nicht mehr gelesen haben. Leicester City schrieb so eine, Huddersfield Town auch. Nun Luton Town. Die „Hatters“, die Hutmacher, spielen 2023/2024 zum ersten Mal in ihrer wechselvollen Vereinsgeschichte in der Premier League.

1, Maple Road, Luton LU4 8 AW – Diese Adresse könnte Premier-League-Geschichte schreiben. Hier, an der Kenilworth Road, ist Luton Town zu Hause. Mit einem Ground, der nur 10.000 Zuschauern Platz bietet. Mit dem Stadion ging auch ein Dauerwitz des englischen Fußballs einher.

Er lautete: „Luton Town baut ein neues Stadion.“ Seit langem gibt es diese Pläne schon, seit 2019 hat der Verein, dem die Stadtverwaltung Mitte der 2000er-Jahre noch die Errichtung höherer Tribünen verweigert hat, eine Baugenehmigung. Das Problem war nur: Luton fehlte das Geld, um das in ganz England als „Bruchbude“ abgekanzelte Stadion aufzumöbeln.

Ein 20.000 Zuschauer fassendes Stadion, das war lange Zeit die Vision in Luton, doch er scheiterte an den Einwohnern – und eben am fehlenden Kleingeld.

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Was für ein Jubel, was für eine Geschichte: Luton Town spielt nach jahrelanger Tristesse 2023 erstmals in der Premier League. Foto: Imago.

Western ähm… Witze von gestern. Denn genau das könnte sich jetzt ändern. Der erste Aufstieg in die Premier League in der Geschichte des Vereins, der 2014 noch in der 4. Liga spielte und dem der Glamour-Faktor komplett abgeht, bringt den „Hatters“ bis zu 300 Mio. Euro Mehreinnahmen. Die rund 15 Millionen Euro teuren Umbaumaßnahmen, so hieß es bei BBC Mitte Juni 2023, dürften dazu führen, dass Luton die ersten „zwei oder drei Spiele auswärts austragen“ muss. Das lässt sich gerade noch so verkraften. Auf die paar Tage Wartezeit kommt es jetzt eh nicht mehr an. Luton hat etwas Episches erreicht.

„Die absoluten Szenen“

Das 6:5 im Elfmeterschießen (1:1) gegen Coventry City katapultierte einen Klub in die englische Fußball-Eliteliga, der seit 2009 in den Liga-Niederungen verschwunden war. 2017 bis 2019 in die zweitklassige Championship durchmarschiert, ist „Luton zurück aus der Hölle“, wie der Sky UK-Kommentator nach dem Aufstieg im brodelnden Londoner Wembley-Stadion treffend bemerkte. „Es waren die absoluten Szenen“, jubelte ein Fan nach dem Premier-League-Coup bei BBC, „ein unglaubliches Gefühl.“ - ,,Greatest Fairytale in Football", liest man auf einem Plakat in der Luton-Kurve. Das ist ziemlich nah dran. 

Warum? Fünf Jahre lang hatte Luton nach einem Rekord-Punktabzug von 30 Zählern 2008/2009 in der Non-League verbracht, also im Amateurfußball. Im Stadion kündet bis heute das Banner ,,Betrayed by the FA 2008" (Von der FA betrogen, 2008) davon. 

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Eng zwischen Häuserzeilen gelegen: Das Stadion von Luton Town an der Kenilworth Road hat so seine Eigenheiten. Foto: Shutterstock

„Merkwürdigster Zugang im ganzen Land“

Auch diese Zurücksetzung ist ein Grund dafür, dass in Luton die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Oak Stand, das klingt schon so nach Old School Fußball von der Insel. Fast würde man – wie vor dem Umbau in Tottenham oder anderswo – den inmitten der typisch-britischen Backstein-Reihenhäuser diesen Zugang übersehen. Oder?

Duncan Adams beschreibt die Situation für Auswärtsfans in seinem Standardwerk Die Football-Grounds von England & Wales (Verlag: Trolsen, 2007) so: „Der Zugang in den Oak Road Stand ist einer der merkwürdigsten im ganzen Land. Nachdem man eine lange Gasse entlanggegangen ist, scheint es so, als würde man sich anstellen, um ein Wohnhaus zu betreten. Etwa 2.000 Gästefans können dieses seltene Erlebnis haben.“

„Wer zur Toilette will, der „folgt dem Uringeruch“, wie die Kronen-Zeitung (Wien) richtig geschnuppert hatte. Das Fazit des Boulevardblatts: „Völlig aus der Zeit gefallen, aber für Puristen hat es was von ehrlichen Fußball.“

Nun ja, der „ehrliche Fußball“! Kann es den in der Premier League überhaupt geben, wenn ein über eine Milliarde Euro teures Star-Ensemble namens Manchester City gegen ein Team antritt, das einen Kaderwert von derzeit 53 Millionen Euro – wertvollster Spieler ist laut GOOL / Fussballdaten.de Marvelous Nakamba (29) mit 3,8 Mio. Euro – hat?

Haben Sie sich mal das Gesicht von Star-Trainer und Restaurantbesitzer Pep Guardiola vorgestellt, der bei Bayern München einst ging, weil er „sich nicht ein weiteres Mal auf Werder Bremen vorbereiten“ wollte, wenn er hier mit dem Luxus-Team-Bus ankommt? Mehr Realsatire geht nicht.

Na, bitte! Wir sind in Luton doch genau richtig. Die 213.000-Einwohner-Stadt nördlich von London, bekannt durch ihren, vor allem von so genannten Billigflug-Airlines angesteuerten Flughafen, wurde zur offiziell „hässlichsten Stadt Englands“ gekürt. Und spielt jetzt in der Schickimicki-Welt mit.

Rückkehr nach 31 Jahren

Die Geschichte, die hinter dem Premier-League-Aufstieg steckt, ist der Stoff für das nächste Märchen. So, wie es Leicester City 2016 mit der englischen Meisterschaft oder Huddersfield Town und Nottingham Forest mit ihren Aufstiegen 2017 und 2022 (Siehe Premier League Offside, Folge 31) vorgemacht haben.

31 Jahre lang hatte es in Luton, wo das Stadion rund 15 Gehminuten vom Bahnhof entfernt liegt– entlang der Bute Street bis zum Ende des Zentrums rechts Richtung Dunstable Road, so der Weg –, keinen Erstliga-Fußball gegeben.

Nun ist man am Ziel aller Träume. Dank harter, kontinuierlicher Arbeit, wie Vorstandsboss Gary Sweet vor dem Spiel der Spiele gegen Coventry betonte. Sweet: „Das gesamte Personal, der Vorstand, alle Menschen, die hier arbeiten, sind ein Stück des Gebildes und der Kultur, die wir in diesem Verein haben. Wir hatten Leute, die nächtelang durchgearbeitet haben, um diesen Job zu erledigen – und keiner hat gefragt: Bekomme ich dafür mehr Geld?“

Wohl kein Geld der Welt kann die Momente von Wembley aufwiegen. Jubelnde Luton-Spieler, tanzende Fans und ein in Tränen aufgelöster Gary Sweet auf der Ehrentribüne. Mal ehrlich: Deshalb machen wir doch den ganzen Spaß!

Wegen der Premier League will man sich in Luton – abgesehen von den längst überfälligen Schönheitsreparaturen am Stadion – für die Glitzerwelt der Premier League gar nicht verbiegen. Das rief Gary Sweet jedenfalls am 28. Mai 2023 den 20.000, freudetrunkenen „Hatters“-Fans auf dem St. George-Square in Luton zu: „Das könnte eine Gelegenheit sein, die unser Leben verändert – aber lasst uns wir selbst bleiben!“

Der Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit April 2021 auch als leitender Redakteur beim Portal Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.


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